In Tunis am Flughafen traf ich einen Iraner der in Libyen wohnt. Ein sehr sympathischer Mann. Er berichtete mir, dass es in Libyen wieder ruhiger sei. Auch für mich mit dem Fahrrad sollte es kein Problem sein dorthin zu reisen, hat er gemeint. Bald darauf folgte eine weitere Bekanntschaft mit einem U.S.-Amerikanischen Reporter, der ich in der Jugendherberge kennenlernte.
Er ist kurze Zeit zuvor in Libyen gewesen. Zeigte mir Fotos von Misurata wobei er meinte, dort sei noch richtig Krieg gewesen. Man sehe die Zeichen. Er sei auch an einem Gefecht gewesen. Dieser Mann liebt den Krieg. Er meinte es sei ihm dann aber zu ruhig geworden in Libyen. Die Medien würden einfach alles aufblasen. Er gehe in den Sudan, dort sei wenigstens etwas los. Er sagte mir, ich solle nach Libyen reisen, die Menschen seien super dort und jetzt sei ein guter Moment um dorthin zu reisen. Ob ich einen solchen Menschen Glauben schenken sollte oder nicht, begann ich da die Idee abzuwägen nach Libyen zu reisen.
Kurz darauf traf ich eine Lybische Familie, die in Tunesien Ferien machte und wir schauten uns gemeinsam das römische Theater in Karthago an. Sie sagten mir bis Tripolis sei es ruhig, „mia mia“ wie sie zu sagen pflegten. Ich fragte mehrmals nach ob es auch für mich als europäischer Fahrradfahrer „mia mia“ sei. Sie antworteten ja.
So nahm ich die Telefonnummer von ihnen, denn sie sollten mich in Tripolis willkommen heissen.
Am Abend sprach ich wieder mit meinem u.s. amerikanischen Reporter und er gab mir verschiedene Kontakte in Tripolis und Misurata. Eine Idee begann sich in meinem Kopf zu bilden.
Apropos war das am Abend in der Jugendherberge in Tunis, welche ich Keinem empfehle. Jeder 2te bis 3te Abend vermietete der Besitzer um sich einen Zuschuss zu verdienen den unteren Saal. Dort wurde dann bis etwa 2 Uhr nachts eine Hochzeit gefeiert, die Musik so laut, dass man im oberen Stock wo die Zimmer sind unmöglich schlafen, sprechen oder sonst etwas machen kann!
Doch zurück zu meiner Idee. Meinem inneren Kampf. Meinem hin und her.
Gibt es freie Entscheidungen? (ACHTUNG: philosophischer Exkurs! Wer diesen überspringen will, gehe weiter zu 1)
Wenn man an das Schicksal glaubt, dann muss man dies ausschliessen. Es kann kein Schicksal geben, das Platz für freie Entscheidungen lässt. Man kann höchstens das Gefühl haben sie seien frei, denn der Rest ist von Gott oder sonst irgendetwasem vorbestimmt.
Glaubt man nicht ans Schicksal, so ist es auch sehr fraglich…
Die ersten Entscheidungen die wir im Leben machen haben den grössten Einfluss auf unseren Charakter, sie sind am freiesten, wenn man davon ausgeht, dass man als „Tabula rasa“, als unbeschriebenes Blatt auf die Welt kommt.
Wie auf einem anderen Planet! Farbenspiel eines Salzsees |
Ich glaube jedoch, dass schon während unserer Entstehung vieles unseres spätere Leben beeinflusst. So unseres genetisches Material z.B. das unsere Entwicklungsmöglichkeiten in eine oder die andere Richtung etwas begrenzt.
Nach den ersten Entscheidungen beginnt sich ein Raster zu bilden nach dem wir unsere Entscheidungen formen. Dieses ist am Anfang noch flexibel und je mehr Entscheidungen (erfolgreich) nach diesem Muster getroffen werden, desto mehr fixiert sich unser Raster, damit unser Charakter und unser Temperament. Später folgen viele Entscheidungen einem Automatismus.
Obwohl wir oft das Gefühl haben frei zu entscheiden, hindert uns unsere Erfahrungen und v.a. unser Charakter daran uns anders zu entscheiden als wir es machen.
Ein Beispiel: eine scheue Person wird es sehr schwer haben in einer Menge von Unbekannten zu tanzen, während mir das überhaupt nicht schwer fällt ;o)
Küste vor Monastir |
1) Mein hin und her und meine Entscheidungsfindung ob ich nach Libyen soll oder nicht, war eines der freiesten Entscheidungen, die ich seit Langem hatte.
Es war eine sehr lange Entscheidungsfindung, genau gesagt 828,28 km lang :o)
Ich fuhr sechs Tage lang von Tunis der tunesischen Küste entlang in südlicher Richtung, Richtung lybischer Grenze. Ich versuchte mich dabei so gut es ging über die aktuellsten Entwicklungen in Libyen zu informieren und sprach mit allen Leuten die ich traf darüber.
In Mahdia, einem kleinen Küstenstädtchen, begann ein heftiges Gewitter kurz bevor ich abfahren wollte. Es regnete stundenlang. Ich beschloss deshalb meine Abreise um einen Tag zu verschieben. Wenn ich schon die Möglichkeit dazu hatte diesem Gewitter zu entkommen, nutzte ich diese auch aus.
Die Zeichen des gestrigen Gewitters |
Je näher ich Libyen kam, auf desto mehr Libyer traf ich. Es sind sehr anständige Leute. Sie scheinen wohlhabender als die Tunesier zu sein. Viele haben neue, schöne Autos. Sie kommen v.a. nach Tunesien um einzukaufen. Lebensmittel und weitere Produkte die in Libyen knapp sind. Auch mit ihnen sprach ich über die Lage in Libyen. Viele meinten bis Tripolis und Tripolis selbst sei „mia mia“, einige waren sogar sehr euphorisch und meinten es ginge wohl nur noch ein par Tage (das war Anfangs Oktober) bis das Ganze vorbei sei. Einige sahen es etwas kritischer und empfahlen mir unbedingt nicht nach Libyen zu reisen.
Meine Stimmung schwankte hin und her. Jedesmal als ich mich dafür oder dagegen entschied, sprach ich mit jemanden, der ein gutes Argument dagegen oder dafür brachte und brachte meine wacklige Entscheidung wieder ins schwanken.
Hää??? Wieso plötzlich in Rom? Nein! Amphitheater in El Djem |
In Medenine 100km von der lybischen Grenze entfernt, wo sich die Wege trennen sollten, hielt ich kurz an. Der einte Weg führte weiter zur lybischen Grenze. Der andere zur tunesischen Sahara und den Oasen von Tunesien. Ich überlegte noch einen Moment. Doch mein Entschluss stand fest.
Ich sollte nach Libyen reisen.
Cher cousin
AntwortenLöschenMach, was Du machen musst! Ich kann Dich sehr gut verstehen. Aber eines lass Dir gesagt sein: Ich will auch in Zukunft nicht auf unsere Gespräche über Gott und die Welt bei einem Glas Rum und einer kubanischen Zigarre verzichten! Ansonsten werde ich sehr, sehr böse...
Aus Nagercoil, Dein Cousin